Das Münsteraner Bahnhofsviertel ist ein »gefährlicher Ort«. So steht es zumindest in einer Liste, die das NRW-Innenministerium im Mai veröffentlicht hat. Aufgelistet sind Orte an denen die Polizei besonders häufig tätig ist. Es ist aber nicht das erste Mal, dass sich die schwarz-gelbe Landesregierung als starke Hand für Recht und Ordnung aufzuspielen versucht. Schon 2018 gab es eine Verschärfung des Polizeigesetzes, welches einen massiven Ausbau der polizeilichen Befugnisse bedeutete und die Behörde noch weiter einer demokratischen Kontrolle entzog. Auch Münsters neuer Polizeipräsident Rainer Furth setzt jetzt auf verstärkte Präsenz im Bahnhofsviertel und will die neuen Änderungen im Polizeigesetz ausreizen. Vermehrte Razzien, verdachtsunabhängige Kontrollen und verstärkte Polizeipräsenz sollen, aus Sicht des neuen Polizeipräsidenten, eine effektive Strategie sein um der Kriminalität den Garaus Machen. Das Problem dabei: Diese Strategie geht den Ursprüngen der Kriminalität nicht auf den Grund und sorgt lediglich zu einer Verlagerung und Reproduktion des Problems.

Jeder fromme Bürger applaudiert der Polizei, wenn es ihr durch Anwendung von List oder Zufall gelingt, einen »Verbrecher« zu fassen. Leidtragende dieser rigiden Polizeitaktik sind aber im Besonderen Menschen, welche ohnehin tagtäglich von Rassismus betroffen sind. Häufig zu beobachten ist das sogenannte »Racial Profiling«, also verstärkte verdachtsunabhängige Kontrollen von migrantisch aussehenden Menschen. Dieser rassistische Generalverdacht ist nicht nur erniedrigend für Betroffene, sondern auch Wasser auf den Mühlen der AfD.

Aus einer anderen Perspektive erschließt sich jedoch folgendes Bild: Die Bewegungsfreiheit von Geflüchteten wird durch Residenzpflichten und Wohnsitzauflagen eingeschränkt, ihnen werden Arbeitsverbote auferlegt und sie erhalten nur eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung. Geld- oder gar Sachleistungen weit unterhalb eines menschenwürdigen Existenzminimums sind weit verbreitet. Die Unterdrückung und Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund drückt sich in alltäglicher Gewalt und Ausgrenzung, in niedrigeren Löhnen und geringeren Chancen auf sozialen Aufstieg aus. Fehlende Bildungsgerechtigkeit und mangelnde Möglichkeiten der politischen Teilhabe, Rassismus im Alltag, räumliche Trennung in Wohnvierteln und die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit sind das Problem, Straftaten sind eine Folge davon. Dass Perspektivlosigkeit und Kriminalität zusammenhängen, scheint niemanden zu interessieren, die Law-and-Order-Taktik scheint immerhin weniger komplex. Ganze Menschengruppen werden dadurch kritischer beäugt als die politischen Entscheidungen, welche die eigentliche Wurzel der Probleme sind. Die Krankheit heißt Kapitalismus, ihr Symptom ist Perspektivlosigkeit und die verordneten Behandlungen nur Placebo. Neoliberale Rassisten sind schlichtweg unfähige Ärzte.

Niemand wünscht sich eine kriminelle Laufbahn. Niemand, der aus einem Land flüchtet, wo Krieg, Armut und Hunger herrschen, kommt mit dem Ziel nach Deutschland, am Hauptbahnhof in der Not mit Drogen zu dealen. Umso perfider, dass man in der Zeitung davon liest, dass sich die Polizei immer wieder damit brüstet, »zur Abschiebung ausstehende Menschen« am Bahnhof mit Drogen verhaftet zu haben. Menschen, die aus einer perspektivlosen Situation in eine andere gebracht werden, sollten nicht für staatliches Versagen in ein zerstörtes Herkunftsland zurückgeflogen werden müssen. Auf der einen Seite schürt insbesondere die CDU rassistische Ressentiments, während sie auf der anderen Seite die Misere durch ihre politischen Entscheidungen reproduziert. Dabei spielt sie sich als Hüter von Recht und Ordnung auf, um sich an der Macht zu halten. Das ist »Teile und Herrsche« wie aus dem Lehrbuch.

Diese Politik der Angst sorgt überwiegend dafür, dass Mitbürger*innen, die nicht dem Bild einer weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen, übermäßig kontrolliert werden. Dass diese Kontrollen besonders die falschen treffen und auch dramatische Folgen haben können, macht gerade der Fall von George Floyd sehr deutlich – Acht Minuten wurde ihm von einem Polizisten die Luft abgeschnürt, bis er letztlich erstickt ist.

Wenn wir uns aber wirklich um die Sicherheit unserer Mitmenschen sorgen, müssen wir uns auch die Sicherheit aller Menschen zum Ziel machen, auch die von Rassismus betroffenen Menschen. Einen ersten Schritt hat die Stadt Minneapolis als Folge der internationalen Black Lives Matter Proteste bereits vorgemacht. Die Örtliche Polizeibehörde wurde aufgelöst. Nun soll in einem »langjährigen Prozess« die Stadt ein »neues Modell für Sicherheit« schaffen. Bei dem Neustrukturierungsprozess soll die Bevölkerung in einem demokratischen Prozess miteinbezogen werden. Als Linke finden wir das gut und sagen ganz klar: Gewaltmonopole in einer demokratischen Gesellschaft sollten auch einer Demokratischen Kontrolle unterliegen und nicht als Repressionsorgane für alle an den Rand gedrängten Menschen fungieren! Dem Kriminalitäts-Problem am Bahnhof sollten sich geschulte Sozialarbeiter annehmen statt der Polizei. Solange nichts Effektives unternommen wird, um Menschen Perspektiven zu bieten, sollte die Polizei sich nicht unbeobachtet bei ihrem Handeln im Bahnhofsviertel fühlen. Migrant*innen haben das Recht, selbstbestimmt und ohne Diskriminierung zu leben. Dies kann nur gelingen, wenn wir alle unser Zusammenleben gemeinsam und gleichberechtigt gestalten, das funktioniert nicht wenn Migrant*innen unter Generalverdacht gestellt werden. Statt uns gegeneinander ausspielen zu lassen, müssen wir einen gemeinsamen Kampf für ein besseres Leben führen.