In der Corona-Krise wurde für die Pflege viel geklatscht. Selbst den Letzten schien nun zu dämmern, dass ein kaputt gespartes und auf das Erzielen von Profit getrimmtes Gesundheitssystem keine gute Voraussetzung dafür ist, eine Pandemie zu bekämpfen.
Es wurde viel geredet über Systemrelevanz und Bonuszahlungen. Nach über einem Jahr ist davon wenig geblieben. Die Bonuszahlungen fielen mager aus - wenn sie überhaupt kamen. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind derweil noch immer desaströs. Zu wenig Personal, zu wenig Zeit, eine zu schlechte Bezahlung. Da sich Bundes- und Landesregierungen noch immer verzweifelt an ihre neoliberalen Dogmen klammern, ist von dieser Seite gerade wenig zu erwarten. Deshalb haben sich die Pfleger*innen Joanne, Annika, Peter, Marcel und Michael dazu entschieden, wenigstens ihre Gewerkschaft zum Handeln zu bewegen. Denn im September 2021 stehen wieder Tarifverhandlungen an. Eine Petition, die schon von über 100 000 Menschen unterschrieben wurde, fordert von der verdi, dieses mal nicht klein beizugeben, sondern über harte Verhandlungen zu einer echten Trendwende zu kommen. Wir haben mit Peter und Michael über ihre Forderungen gesprochen.

Hallo ihr Beiden, wie seid ihr auf die Idee gekommen, eine Petition zu starten?

Wir arbeiten bereits einige Jahre in der Pflege und haben beobachten müssen, wie sich die Bedingungen im Kliniksetting sukzessive verschlechtert haben. Mit Einführung der DRGs (Fallpauschalen) wurden zahlreiche Stellen abgebaut, die Anzahl Patient*innen blieb gleich. Mittlerweile existiert ein ausgeprägter Pflegenotstand. Die Arbeitsbedingungen insbesondere in der somatischen Pflege sind vielerorts untragbar, Patient*innen können nicht mehr adäquat versorgt werden, lediglich eine Minimalversorgung kann gewährleistet werden. Pflegekräfte kompensieren seit Jahren die chronische Unterbesetzung und zunehmende Arbeitsdichte, verzichten auf Pausen und sammeln Unmengen Überstunden an. Die physische und psychische Dauerbelastung macht es unmöglich, sich richtig zu erholen, krankheitsbedingte Ausfälle und Burnout sind die Folgen.

Den Pflegenden reicht es so langsam - in Kampagnen wie www.pflegestuferot.de/statements.html anschaulich nachzulesen. Viele Pfleger*innen kehren der Pflege den Rücken zu oder nutzen den Job nur noch als Sprungbrett für ein Studium.

Mittlerweile ist auch unserer Bundesregierung aufgefallen, dass sie den massiven Pflegenotstand nicht mehr ignorieren kann. Gut gemeinte Programme wie das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) des Gesundheitsministers Jens Spahn verlaufen jedoch im Sande, da bei den bestehenden miesen Arbeitsbedingungen und stagnierend geringem Gehaltsniveau potentiell interessierte Pflegekräfte dankend ablehnen.

Eine faire, der Leistung entsprechende, Entlohnung könnte unserer Ansicht nach dazu führen, dass sich wieder mehr Interessierte der Pflege zuwenden, so dass über das PpSG in einem zweiten Schritt der Pflegeschlüssel bedarfsgerecht angepasst werden könnte. Doch davon will unser Gesundheitsminister Jens Spahn nichts wissen. Er ruht sich lieber weiter auf seiner sichtbar erfolglosen Strategie aus und wartet auf die Dinge, die da kommen. Wir werden das nicht weiter hinnehmen!

Da Jens Spahn scheinbar nicht der adäquate Ansprechpartner für uns ist, haben wir uns mit unseren Forderungen an unsere Arbeitnehmervertretung, die ver.di, gewendet. Gemeinsam mit der ver.di wollen wir Druck auf die Regierung ausüben und eine angemessene Lohnerhöhung sowie einen bedarfsgerechten Personalschlüssel erkämpfen.

Was sind eure konkreten Forderungen an die ver.di?

Zunächst einmal ist es uns wichtig zu erwähnen, dass wir die ver.di nicht als Kontrahentin betrachten. Wir wollten die ver.di lediglich öffentlichkeitswirksam ansprechen, um Kontakt zum Vorstand und der Verhandlungskommission zu bekommen. Nur so haben wir eine Chance, unsere Forderungen durchsetzen zu können. Und zwar gemeinsam mit der ver.di. Wir sind der Ansicht, dass es Zeit ist für deutliche Verbesserungen in der Pflege – sowohl auf monetärer Ebene als auch beim Personalschlüssel. Die Pflege heutzutage basiert auf aktuellen Erkenntnissen aus der Forschung und bietet eine ganzheitliche, auf das Individuum abgestimmte und ressourcenfördernde Krankenversorgung. Der Qualitätsstandard ist erheblich gestiegen, die Pflege hat zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen. Das, was sich über die Jahre hinweg nicht verändert hat, ist das Gehaltsniveau.

Zudem geht es uns um ein bedarfsgerechtes Aufstocken des Pflegepersonals. In Deutschland versorgt derzeitig eine Krankenpfleger*in mit durchschnittlich 13 Patient*innen doppelt so viele wie vergleichsweise eine Pfleger*in in der Schweiz.

Wir sind der Ansicht, dass eine angemessene Gehaltssteigerung von 33% das Schlüsselelement dafür ist, dass sich wieder mehr Interessent*innen der Pflege zuwenden. Darüber würde sich ein bedarfsgerechter Personalschlüssel, idealerweise im Verhältnis 1 zu 5 (wie in Teilen der USA bereits etabliert), sukzessive realisieren lassen. Die Bedingungen in der Pflege sowie auch der Pflegenotstand könnten sich nachhaltig entspannen.

33 % mehr Lohn klingt vielleicht für einige Menschen, nach einer ungewöhnlich hohen Forderung. Warum denkt ihr, dass das gerechtfertigt ist?

Über einen hohen Verhandlungsanker von 33% wollen wir klarmachen, dass das aktuelle Gehaltsniveau längst nicht mehr zeitgemäß ist. Der hohe Pflegestandard, die zunehmende Arbeitsdichte, die oftmals gesundheitsbelastenden Bedingungen und hohe Verantwortung stehen einem unangemessen geringen Gehalt entgegen. Daher fordern wir jetzt eine signifikante Lohnerhöhung, bei der trotz Inflation und Steuerprogression nachhaltig etwas unterm Strich übrig bleibt. Des Weiteren ist unsere Forderung nicht weit von der des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe entfernt, der für ein Einstiegsgehalt von 4000€ plädiert.

Wir sind auch der Ansicht, dass der fortschreitende Pflegenotstand nur dann aufzuhalten ist, wenn der Pflegeberuf signifikant aufgewertet wird. Jens Spahn kann noch so viele Programme zur Stärkung des Pflegepersonals (PpSG) initiieren. Ohne deutliche monetäre Anreize werden diese ineffektiv bleiben.

Wie hat ver.di bisher auf eure Petition reagiert? Konntet ihr schon etwas erreichen?

Es hat etwas gedauert, aber mittlerweile hatten wir eine gemeinsame Videokonferenz mit dem Bundesvorstand Sylvia Bühler und der Gewerkschaftssekretärin Susanne Scharrmann. In dem freundlichen Treffen wurde deutlich, dass unsere Forderungen schwer zu erreichen sind, da der Organisationsgrad der Pflege gemeinhin als sehr niedrig gilt. Die Streikbereitschaft in der Pflege und somit der notwendige, zu erzeugende Druck seien erfahrungsgemäß zu gering.

Wir haben uns darauf verständigt, zukünftig weiteren ver.di -Treffen beizuwohnen, in denen es darum geht, die Pflege aktivierende öffentlichkeitswirksame Aktionen zu planen. Uns geht es darum, zu zeigen, dass sich die Pflege sehr wohl organisieren kann. Dazu laufen bereits an mehreren Standorten klinikintern und –übergreifend Vernetzungskampagnen. Ein aktuelles Beispiel: www.instagram.com/muenstercares






Die Pflege galt ja in der Vergangenheit meist als ein Bereich, in dem es schwierig ist, Arbeitskämpfe zu organisieren. Wie steht es um die Streikbereitschaft der Beschäftigten?

Die Arbeitsbedingungen haben auch unabhängig von Corona ein gesundheitsschädliches Niveau erreicht, Frust und Erschöpfung bestimmen den Pflegealltag. Der Pflege reicht es so langsam. Immer mehr Pflegekräfte wehren sich aktiv, springen nicht mehr ein, erheben endlich Haupt und Stimme. Beste Voraussetzungen für eine hohe Streikbereitschaft.



Dass schon viele Menschen eure Petition unterschrieben haben, macht ja deutlich, dass es eigentlich viel Unterstützung für eure Anliegen aus der Gesellschaft gibt. Was können Menschen außerhalb der Krankenhäuser tun, um euch zu unterstützen?

Wir haben derzeit rund 100000 Unterstützer*innen, das freut uns sehr. Wir haben die Möglichkeit, unsere Unterstützer*innen auf Aktionen, Projekte und demnächst anstehende Streiks über einen Newsletter aufmerksam zu machen. Wir sind dabei, uns zu vernetzen und öffentlichkeitswirksame Aktionen gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern zu planen.

Wir freuen uns über jede zusätzliche Unterstützung, insbesondere von Menschen außerhalb des Kliniksettings. Unterstützt uns Pflegende bei unseren Aktionen, werdet genauso laut wie zu Beginn der Pandemie. Nur gemeinsam sind wir stark!

Teilt unsere Petition www.change.org/pflegenotstand mit allen Freund*innen und Bekannten...

Vielen Dank für das Gespräch!

Wir bedanken uns herzlich für die vorbildliche Unterstützung von Seiten der Münster-Linken, insbesondere bei der Fraktionsgeschäftsführerin Johanna Wegmann.

Das Interview wurde geführt von Johanna Wegmann