Am 10.04.2021 waren die Listenaufstellungen für die NRW-Liste unserer Partei für den deutschen Bundestag. Auf Listenplatz 1 kandidierte Sahra Wagenknecht, welche in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« mit unserer Partei und unseren jahrelangen Bündnispartnern aus den sozialen Bewegungen scharf ins Gericht gegangen ist. Gegen Sahra Wagenknecht kandidierte ebenfalls Angela Banckert aus Köln. Auch unsere Genoss*in Hannah hat sich spontan entschieden eine Protest-Gegenkandidatur gegen Sahra zu machen. Wir sagen Danke Hannah für die klaren Worte! Und auch Danke an Angela für die Gegenkandidatur!

Hier könnt ihr ihre Rede nachlesen:

Liebe Genoss:innen,

mein Name ist Hannah Harhues, ich bin 20 und aktiv im Kreisverband Münster. Ich bin Klimaaktivist:in, Antikapitalist:in und Antifaschist:in und queer. Außerdem bin ich in Bewegungen wie Fridays for Future und unteilbar aktiv. Letztes Jahr habe ich in der Tarifrunde Nahverkehr verbindende Klassenpolitik und gelebte Solidarität erfahren, als ich als Fridays for Future-Aktivist:in gemeinsam mit Busfahrer:innen und verdi für bessere Arbeitsbedingungen und Klimagerechtigkeit gestreikt habe.

Ich stehe jetzt hier, weil ich es leid bin. Leid bin, dass in unserer Partei Werte wie Internationalismus, Weltoffenheit und Solidarität immer wieder in Frage gestellt werden.

Ich stehe hier und kandidiere auf Platz 1, weil ich es als queere Person nicht akzeptiere, von Sahra in ihrem Buch als Teil einer 'skurrilen Minderheit' mit Marotten beleidigt zu werden.

»Die Selbstgerechten« heißt das Buch und es ist – ich konnte es vorab lesen – ein Angriff auf die Werte unserer Partei. Dieses Buch unterteilt die deutsche Linke de facto in »Linksliberale« und »echte Linke«. Zu diesen angeblichen »Linksliberalen« packt sie nahezu alle relevanten Bewegungen der neueren Zeit wie Fridays for Future, Unteilbar oder Black Lives Matter. Den Linksliberalen wird eine Nähe zum Neoliberalismus unterstellt. Damit greift sie einen relevanten Teil unserer Wähler:innenschaft und unsere Genoss:innen frontal an. Ich finde, dass ist inakzeptabel.

Viele von euch werden bisher keine Gelegenheit gehabt haben, in das Buch zu schauen und so will ich meine wenige Zeit nutzen, euch aus meiner Sicht einige der empörendsten Zitate vorzutragen und einzuordnen.

Sie schreibt:

»Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marottefinden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein.«

Ich will hier mal einhaken: Niemand sucht sich aus, Opfer zu sein. Wenn ich als queere Person beleidigt und attackiert werde, dann ist das nichts, worüber ich mich freue. Anders ausgedrückt: Ich wünschte mir, nicht ständig Opfer von Diffamierungen zu sein. Und das geht auch Menschen so, die wegen ihrer Hautfarbe Rassismus erleben müssen.

Weiter geht es im Buch von Sahra in dem Absatz:

»Wichtig, um zur anerkannten Opfergruppe zu werden, ist eigentlich nur, dass es sich  um individuelle Merkmale      handelt, nicht um solche, die  mit  sozioökonomischen Strukturen zusammenhängen. Also die Herkunft aus sozial schwierigenVerhältnissen, Armut oderein Job, in dem man seineGesundheit  ruiniert, sind  eherungeeignet, um im Rahmen der Identitätspolitik als Opfer zu gelten. Da sich an identitätspolitischen Diskursenallerdings kaum Arme oder Geringverdiener beteiligen, hat das noch niemanden gestört. Sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Ethnie dagegen funktionieren immer.«

Liebe Genoss:innen, wir als LINKE kämpfen dafür, dass Menschen, die in Armut leben, die prekarisiert sind, als Opfer des kapitalistischen Wirtschaftssystems anerkannt werden. Und ich kenne viele Menschen bei Fridays for Future und anderen Bewegungen, die natürlich die sozialen Verwerfungen des Kapitalismus erleben. Laut Sahra machen die alle nur 'Identitätspolitik'. Aber das ist doch nicht die Realität! Und im Übrigen ist es doch ein Hohn, Menschen, die rassistischer oder sexistischer Gewalt ausgesetzt sind zu sagen, dass ihr individuelles Merkmal »immer funktioniere« – als ob die sich das selbst ausgedacht hätten!

Auch eine andere Stelle im Buch fand ich schockierend. Da heißt es:

»Da die Gelbwesten die Vorgaben des linksliberalen Weltbildes beherzt ignorierten, wurden sie insbesondere von deutschen Lifestyle-Linken sofort rechtsradikaler Sympathien verdächtigt: »In Deutschland wäre eine solche Verbrüderung linker und rechter Gesinnung nicht denkbar,« monierte etwa der damalige Vorsitzende einer deutschen linken Partei, dessen Name heute zu Recht vergessen ist.«

Ich will nicht über die Gelbwesten diskutieren. Sondern über den Umgang. Denn der Vorsitzende »dessen Name heute zu Recht vergessen ist«, wie Sahra schreibt, ist Bernd Riexinger, der 9 Jahre unser Parteivorsitzender war. Was soll so ein respektloser Umgang miteinander? Und die »deutsche linke Partei«, von der sie schreibt, das sind wir, DIE LINKE Man kann den Namen seiner eigenen Partei ja durchaus nennen, oder?

Sie schreibt außerdem:  

»Drei Jahrzehnte neoliberaler Politik haben viele der einstigen Einschränkungen und Regelungen abgeräumt. Die Gewerkschaften sind heute nicht nur sehr viel schwächer als in ihren Blütezeiten, die linksliberale Erzählung von der Verpflichtung zu Weltoffenheit und Diversität führt auch dazu, dass sie sich kaum noch trauen, die Beschäftigung von Zuwanderern auch nur zu problematisieren.«

Das ist schlicht und ergreifend ein Widerspruch zu allen Werten, für die unsere Partei steht. Und spaltet die Masse der arbeitenden Menschen und uns als Partei. Hieße  das also, dass verdi in den ÖPNV Streiks hätte sagen soll, dass Manni bleiben darf und Mehmet nicht? Hier muss nicht die Migration problematisiert werden und Mehmet gegen Manni ausgespielt werden, sondern der Kampf Oben gegen Unten kritisiert werden. Für uns als linke Kraft sollte Antirassismus eigentlich unsere DNA sein.

Ich will eine Partei, die Kämpfe verbindet: Klimagerechtigkeit mit Arbeitskämpfen, Antirassismus und gewerkschaftliche Arbeit, Feminismus und Antimilitarismus. Ich will eine Partei, die nicht spaltet sondern verbindet.